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Die Wutach – Eines der letzten ungezähmten Flusstäler

Reihenweise enttäuschte Gesichter bei einer Rangerwanderung in der Wutachschlucht. Dieses Rinnsal ist die Wutach? Wilde Wasser und steile Schluchten werden in Reiseführern beschrieben und jetzt dümpelt hier bei Bad Boll ein träge dahinfließender Bach.

Situationen wie diese gehören zum Rangeralltag in trockener Sommerzeit für Martin Schwenninger, der eben noch mit der Wandergruppe 130 Höhenmeter oberhalb am Schluchtrand gestartet ist und eine Zeitreise in die Erdgeschichte und des Gestaltens durch den Menschen angekündigt hat. 
Oben bei Boll ist die Gruppe im ehemaligen Flussbett der Feldbergdonau gestanden und hat sich über die Entstehungsgeschichte der Wutachschlucht unterhalten. Schwer vorstellbar, dass es vor über 20 000 Jahren die Wutachschlucht noch gar nicht gegeben hat, sondern dort, wo heute Dörfer wie Boll und Reiselfingen liegen, breit mäandrierend die Urdonau Richtung Schwarzes Meer geflossen ist. Erst vor rund 18 000 Jahren schlug die Geburtsstunde der Wutachschlucht. Bei Blumberg in der Enge zwischen Eichberg und Buchberg hat sich die Urdonau quasi ihr Bett selbst zugeschottert und ist dann von Stund an Richtung Hochrhein geflossen. Aus einem trägen Fluss ist aufgrund des starken Gefälles zum Rhein hin ein reißender Wildfluss, die Wutach, geworden.

DIE DYNAMIK DES WASSERS BESTIMMT DIE SCHLUCHT
Auch wenn am heutigen Tag die Wutach mit einem Abfluss von rund zwei Kubikmetern pro Sekunde sich nicht wild tosend gibt, so wird unterwegs zur Wutachmühle deutlich werden, wie die Kraft des Wassers die Dynamik der Schlucht bis heute bestimmt. Meist finden die spektakulären Hochwasser im Winterhalbjahr statt. Jährlich stehen mehrmals bei Schneeschmelze oder starken Niederschlägen bei einem Wasserabfluss von 70 bis 100 Kubikmetern pro Sekunde Teile der Wanderwege unter Wasser und die Schlucht ist vorübergehend nicht passierbar.
Mit Regelmäßigkeit werden Brücken von den Wassermassen weggerissen, unterspülte Felsen brechen ab, Erdrutsche an Prallhängen kommen zu Tal und machen den Ortsvereinen des Schwarzwaldvereins in der Wegunterhaltung das Leben schwer. Beim Jahrhunderthochwasser im Jahr 1990 waren es gar 200 Kubikmeter pro Sekunde, die dem Tal ein neues Gesicht gegeben haben. Der Fluss versetzt riesige Geröll- und Kiesmassen, gräbt sich gar in ein neues Bett, löst Erdrutsche aus, bringt aber auch Zivilisationsmüll vom Oberlauf mit. Während der Müll bei „Schluchtputzeten“ des Schwarzwaldvereins wieder aus der Schlucht weitgehend entfernt werden kann, finden angeschwemmte Rhizome vom Japanischen Staudenknöterich und Samen des Indischen Springkrauts beste Voraussetzungen für eine weitere Ausbreitung. Bei beiden ist eine Bekämpfung müßig, solange vom Oberlauf mit jedem Hochwasser kontinuierlich Nachschub an Vermehrungsgut geliefert wird. Gerade im unzugänglichen Verhau von Schwemmholz finden sich Vorkommen von Staudenknöterich, die praktisch nicht bekämpfbar sind. Damit wird sich auch künftig das Bild der Schlucht wieder wandeln.

DIE NUTZUNG DER WASSERKRAFT BRINGT WANDEL INS TAL
Seit dem Mittelalter wurde die Wasserkraft der Wutach von der Bevölkerung genutzt und brachte in das bislang unzugängliche Tal immer wieder Wandel, aber auch Auseinandersetzung um die Nutzung des Gebietes. Eine Mühle an der Dietfurt wird bereits 1424 erwähnt, die Schattenmühle gibt es seit 1596. Alle Mühlen im Wutachgebiet haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich, heute stehen die Mühlräder still. Einzig die Nutzung der Wasserkraft zur Stromerzeugung an der Stallegg, dem denkmalgeschützen, drittältesten Flusskraftwerk Deutschlands und der Schattenmühle sind noch verblieben. Dabei hätte es auch gänzlich anders kommen können: Zu Beginn der 1950er Jahre hatte die Schluchseewerk AG versucht, alte Pläne zu realisieren und im oberen Bereich der Wutachschlucht kurz unterhalb der Haslachmündung den Fluss zu stauen und das Wasser für die Stromerzeugung zu nutzen. Vorbereitende Bauarbeiten wurden schon durchgeführt und nur einem breiten Bürgerbegehren, das in die Arbeitsgemeinschaft „Heimatschutz Schwarzwald“ mündete, ist es gelungen, das Vorhaben abzuwenden. Der Schwarzwaldverein und sein damaliger Präsident Fritz Hockenjos waren dabei die treibenden Kräfte. Wäre das Vorhaben umgesetzt worden, wäre das Flusstal seiner Dynamik beraubt worden. Die Momentaufnahme des am Anfang beschrieben Wandertags an der trägen Wutach mit der Versickerung des gesamten mitgeführten Wassers unterhalb vom Amselfels wäre ganzjährig Status quo und das Naturschutzgebiet wesentlichen Schutzzwecken entzogen worden.

KAHLSCHLAG ENTLANG DER WUTACH
Zeitweilig war das Wasser der Wutach wichtiges Transportmittel für Holz. Ab 1624 wurden entlang des oberen Wutachtals ein Großteil der bewaldeten Hänge kahl gehauen und das zersägte Holz zur Energieversorgung der Eisenhütte nach Eberfingen geflößt. Von 1832 an wurde auf der Wutach gar einige Jahrzehnte Langholz Richtung Rhein geflößt. Heute unvorstellbar, dass immer wieder große Kahlschläge das Bild der Wutachschlucht geprägt haben. Aus einer ehemals dunklen, dichten Waldschlucht wurde durch die Besiedlung mit Höfen und Mühlen eine offeneres, von Feldern und Wiesen durchzogenes Tal, das sich im Zuge der Industrialisierung wieder zum ursprünglich dicht bewaldeten Tal gewandelt hat.

TOURISMUSMAGNET WUTACHSCHLUCHT
Unzählige Quellbereiche finden sich in den Hängen und bilden wertvolle Biotope. Die Entdeckung der Heilwirkung einer schwefelhaltigen Quelle bei Bad Boll bestimmt bis heute die Entwicklung des Geschehens im Tal. Stünde nicht noch die ehemalige Kapelle des Kurbades, würden die meisten Besucher die Wüstung passieren, ohne wahrzunehmen, dass hier im Herzen des Naturschutzgebietes um die Wende zum 19. Jahrhundert ein Tourismusmagnet ersten Ranges stand. Die Nutzung des Kurbades war auch ausschlaggebend dafür, dass der Schwarzwaldverein Bonndorf sich der Erschließung der Schlucht annahm und 1904 ein durchgehender Wanderweg eröffnet werden konnte. Damit war der Grundstein für eine touristische Nutzung gelegt. Bis heute ist die Schlucht für Menschen ein beliebter Anziehungspunkt ersten Ranges geblieben. Die Verflechtung des Schwarzwaldvereins mit der Schlucht ist sehr eng und damit auch Verpflichtung. Bereits in den 1920er Jahren hat der Schwarzwaldverein im Wutach- und Gauchachtal die Unterschutzstellung aufgrund der einzigartigen geologischen, floristischen und faunistischen Verhältnisse eingefordert. Der Vorsitzende der Sektion Bonndorf, Hermann Schurhammer, sah darin auch eine Kompensationsmaßnahme für naturzerstörende Eingriffe im Schwarzwald, wie die geplante Staulegung des Schluchsees. Heute bedrohen nicht mehr Holzhunger und Kahlhiebe das Naturschutzgebiet, sondern die anhaltend steigende touristische Nutzung der Schlucht wird zur Herausforderung. Wenn Hinweisschilder nicht befolgt und die Schlucht förmlich überrannt wird, stellt sich immer mehr die Frage, wieviel Mensch verträgt das Naturschutzgebiet Wutachschlucht?

Text: Martin Schwenninger, Wutachranger in DER SCHWARZWALD 1/2021

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