„Wandern bietet Platz für Begegnungen und Austausch“
Am Sonntag endete der 122. Deutsche Wandertag in Heilbad Heiligenstadt. In den vergangenen Tagen entdeckten Tausende Wandergäste die besondere Region an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Der Deutsche Wanderverband verabschiedete ein Forderungspapier, das die Gleichstellung des Wanderns mit anderen organisierten Natursportarten und eine entsprechende Förderung anmahnt.
Mit der Abschlussfeier endete am Sonntag der 122. Deutsche Wandertag unter dem Motto „SAGENHAFT GRENZENLOS“ in Heilbad Heiligenstadt und dem Eichsfeld im Dreiländereck Thüringen, Niedersachsen und Hessen. Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, thematisierte in ihrer Videobotschaft die ehemalige deutsch-deutsche Grenze: „Das Grüne Band erinnert an den ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland. Ihr Verband hat mit dem Wanderbaren Grünen Band zunächst in Thüringen die ursprüngliche Idee des Grünen Bandes weiterentwickelt. Damit soll an die friedliche Revolution erinnert werden und ich finde das eine wirklich starke Idee, die sich hoffentlich noch weiterverbreiten wird.“
Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie e. V. sagte während der Feierstunde, dass in Ostdeutschland nur noch 40 Prozent der Menschen zufrieden seien mit der Demokratie. Viele Menschen hätten das Gefühl, nicht mehr mitbestimmen zu können und zurückzufallen in die Zeit vor der Wende. Nötig seien mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung, mehr Volksentscheide. „Wirklich frei sind wir nur, wenn wir die Gesellschaft mitbestimmen können“, so der Bundesvorstandssprecher. Er wünsche sich zudem ein Land, das Flüchtlinge willkommen heiße: „Sagenhaft Grenzenlos“. Flüchtlinge dürften außerdem nie unter Generalverdacht gestellt werden, wie es im Moment in Deutschland an vielen Orten zu beobachten sei. „Ich erwarte, die Menschen zu sehen, die Schicksale“, so Beck, „die Empathie, zu der unsere Gesellschaft fähig ist, ist auf eine schiefe Ebene geraten.“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bedankte sich in Heilbad Heiligenstadt für das vielfältige ehrenamtliche gesellschaftliche Engagement der Wandervereine. „Wandern bietet Platz für Begegnungen und Austausch“, sagte Ramelow und erinnerte ebenfalls an die ehemalige deutsch-deutsche Teilung, während der es unmöglich gewesen sei, sich in der Region frei zu bewegen. Die Freiheit, hier jetzt ohne einschränkende Grenzen wandern zu können sei für ihn wie ein Wunder. „Wir sollten auf unser deutsches Wunder aufpassen“, so der Ministerpräsident. Freiheit und Demokratie seien ein hohes und zu schützendes Gut. Um das zu erhalten, müssten die Demokraten zusammenhalten. „Wir wollen das Land nicht Schreihälsen überlassen. Wir wollen ein weltoffenes Land“, sagte Ramelow.
Christine Lieberknecht, ehemalige Ministerpräsidentin Thüringens und Präsidentin des Thüringer Wanderverbands lobte während der Eröffnungsfeier am Donnerstag die gute Zusammenarbeit von Ehrenamt und Hauptamt, die den Wandertag erst möglich gemacht habe. Auch die Verbandspräsidentin betonte den Wert der Demokratie und das Engagement für diese. „Wir stehen zusammen“, sagte sie in Heilbad Heiligenstadt.
In der Mitgliederversammlung des Deutschen Wanderverbandes (DWV) im Rahmen des Wandertages beschlossen die Delegierten am vergangenen Freitag in Heilbad Heiligenstadt einstimmig ein Forderungspapier. Darin fordert der Verband die Gleichstellung der DWV-Aktivitäten mit denen des organisierten Sports: Das Wandern und andere in den DWV-Mitgliedsorganisationen organisierte Natursportarten sollen dem Sport in organisierten Sportvereinen gleichgestellt und entsprechend gefördert werden. DWV-Präsident Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß sagte, dass die offizielle Anerkennung des Wanderns und anderer Natursportarten als gesundheitsfördernder Breitensport längst überfällig sei: „Unsere Gesellschaft profitiert seit über 100 Jahren von den positiven Effekten des Wanderns auf Körper und Geist. Aber anders als die Sportvereine leisten die im DWV organisierten Vereine ihre Arbeit etwa hinsichtlich der Wanderwegeinfrastruktur in den meisten Fällen ohne öffentliche Zuschüsse. Das muss sich ändern. Andernfalls werden wir diese Leistungen nicht mehr erbringen können“, so Rauchfuß.
Ausrichter des 122. Deutschen Wandertages vom 19. bis zum 22. September waren die Stadt Heilbad Heiligenstadt und der Verein 1. SC 1911 Heiligenstadt. Thomas Spielmann, Bürgermeister von Heilbad Heiligenstadt, sagte während der Feierstunde: „Es war ein wahrhaft ´grenzenloses Fest`, bei dem Verein und Stadt Ausrichter waren, aber eine ganze Region der Gastgeber gewesen ist. Landkreise und Bundesländer übergreifend hat das Eichsfeld zusammengearbeitet und dadurch Tausende Gäste zu begeisterten Fans gemacht.“ Dr. Thadäus König, Präsident des 1. SC Heiligenstadt, sagte während der Feierstunde, dass die Gäste aus ganz Deutschland begeistert gewesen seien von den Menschen und der Landschaft des Eichsfeldes. König: „Diese Gäste sind nun Botschafter des Eichsfeldes und helfen, die Region als Wanderdestination zu etablieren.“
Insgesamt bot der Wandertag über 230 geführte Wanderungen und mehr als 80 Konzerte und andere Veranstaltungen für die Besucher*innen. Dabei wurden geführte Wanderungen mit einer Gesamtlänge von über 48.800 Kilometer gebucht. Das sind fast 9.000 Kilometer mehr als eine Erdumrundung am Äquator. Ein Höhepunkt war der heutige große Festumzug, während dem sich die DWV-Mitgliedsorganisationen den Zuschauenden präsentierten. Laut den Ausrichtern des Wandertages beteiligten sich an dem Umzug rund 2.000 Menschen und fast 60 Vereine.
Der Deutsche Wanderverband veranstaltet die Deutschen Wandertage gemeinsam mit regionalen Partnern. Er gilt als eines der größten Wanderfeste Europas. Einerseits werden während des Wandertages viele Wanderungen, Führungen, Vorträge, Konzerte geboten, andererseits finden hier auch Fachtagungen, Vorstandssitzungen und die Jahreshauptversammlung des Deutschen Wanderverbands statt.
DWV-Präsident Rauchfuß rief in Heilbad Heiligenstadt dazu auf, sich bereits jetzt für den 123. Deutschen Wandertag zu bewerben. Als regionale Partner und Ausrichter der Großveranstaltung kämen sowohl DWV-Mitgliedsorganisationen in Frage als auch Nichtmitglieder, wenn sie regionale DWV-Mitgliedsvereine beteiligten oder selbst kompetent seien hinsichtlich des Themas Wandern.
Der Deutsche Wanderverband (DWV) ist eine starke Lobby für Wandern, Wege, Naturschutz und Kultur. Seit 1883 vertritt der DWV die Interessen seiner rund 70 landesweiten und regionalen Gebirgs- und Wandervereine mit ihren 3.000 Ortvereinen. Er ist bundesweit ein anerkannter Fachverband für Nachhaltigkeit, Wegearbeit, Wandern, Ausbildung und bürgerschaftliches Engagement. Als anerkannter Naturschutzverband ist ihm der achtsame Umgang mit der Natur ebenso wichtig, wie das Naturerleben. Vielfalt ist seine Stärke.
Text und Fotos: Jens Kuhr / DWV