Merinoshirt statt Karohemd

Die Entwicklung der Wanderausrüstung

TEXT: TORSTEN KOHL

Ein Bild von gestern: Das klassische, leicht angestaubte Bild eines Wanderers im rotweißen Karohemd, einer Kniebundhose aus Cord und roten Kniestrümpfen aus Wolle. Dazu ein schwerer, unförmiger Rucksack auf dem Rücken, klobige Wanderschuhe aus Leder an den Füßen und einen Wanderstock aus Holz. Heute begegnen wir uns mit raumfahrtgetesteter Hightech-Ausrüstung im Wald. Das heißt dann ja aber auch längst nicht mehr Wandern, sondern Hiking, Trekking oder Walking. Das angestaubte Image hat das Wandern längst abgelegt. Wie in allen Bereichen unseres Lebens hat sich auch die Ausrüstung zum Wandern weiterentwickelt.

Erlebt das Wandern seit Jahren einen Boom, so hat die Bekleidungs- und Ausrüstungsindustrie dies längst erkannt und setzt immer neue Trends, lassen sich durch Neu- und Weiterentwicklungen doch Folgeumsätze generieren. Und sei es nur durch Kleidung in jährlich neu definierten Trendfarben, in denen wir nach der Vorstellung der Designer unserem Freizeitvergnügen nachgehen sollen.

DIE ENTWICKLUNG

Entstand das Wandern einst aus der Notwendigkeit, von A nach B zu gelangen, um sich neue Jagd- und Weidegründe zu erschließen, so entwickelte sich der Trend zum Wandern als Freizeitaktivität erstmalig im 19. Jahrhundert. Mit der Industrialisierung und durch Verkehrsmittel wie die Eisenbahn wurde die notwendige Fortbewegung im Alltag leicht und komfortabel. Die nahe und entfernte Umgebung konnte zu Fuß in der Freizeit erkundet werden. Vergleicht man diese ersten „Kniebundhosenwanderer“ von anno dazumal mit dem heutigen Wanderer, so sind in erster Linie bei den Ausrüstungsmaterialien Unterschiede festzustellen. An den eingesetzten Utensilien an sich hat sich kaum etwas geändert. Auch heute trägt der Wanderer Hosen, Wandersocken, Schuhe, Hemd oder T-Shirt mit Jacke darüber, hat einen Rucksack und nutzt Stöcke. Jedoch wurden aus dem Wanderstock aus Holz ergonomisch verstellbare Carbonstöcke, aus dem Baumwoll-Karohemd das neonfarbene Merino-Seiden-Shirt, die Kniebundhose trägt man heute als wasser- und schmutzabweisende Zippvariante und der Lodenmantel wurde von x-lagigen Hightech-Membranjacken aus Goretex & Co. abgelöst.

Zuletzt ist dabei der Wald für den einen oder anderen zum Laufsteg verkommen. Wandern, sich wohlfühlen und dabei gut aussehen ist das Motto. War Wanderbekleidung einst nur was für den echten Wanderer und Bergsportler gedacht, ist sie mittlerweile auch für Städter zur Alltagskleidung geworden. Der Tragekomfort und sportlich modischer Schick lassen dies heute zu. Als Wanderer ist man heute auf breiter Ebene salonfähig.

WOHL ÜBERLEGT

Worauf ist bei all den heute zugänglichen Ausrüstungsmaterialien, der schier unerschöpflichen Anzahl an Herstellern überhaupt zu achten, wenn man sich neu ausstatten möchte? Die Antwort kann nur ein klassisches „es kommt darauf an“ sein. Es bringt nichts, beispielsweise für neue Wanderschuhe, das Modell „X“ von Hersteller „Y“ als das ideale zu empfehlen. Dafür ist das Thema Ausrüstung zu individuell und hängt von zu vielen Faktoren ab. Daher ist, damals wie heute, eine gute Beratung im Fachhandel unersetzlich.

Anprobieren und Probetragen ist gerade bei Wanderschuhen unerlässlich. Um sich zielgerichtet und auf das Notwendige beschränkt auszurüsten, bedarf es Antwort auf folgende Fragen: Wozu möchte ich den Ausrüstungsgegenstand nutzen? Welche Anforderungen stelle ich an Funktionalität, Gewicht, Optik? Zu welcher Jahreszeit kommt die Ausrüstung primär zum Einsatz? Was bin ich bereit zu investieren? Gibt es Marken, die sich in Form, Schnitt, Funktion etc. bewährt haben? Und letztlich sollte bei einer Kaufentscheidung auch immer die Nachhaltigkeit in der Liefer- und Produktionskette, sowie bei den eingesetzten Materialien eine Rolle spielen. Viele namhafte Outdoorhersteller legen darauf inzwischen selbst hohen Wert, schreiben sich insbesondere den Einsatz regional gewonnener, nachhaltiger Rohstoffe groß auf ihre Fahnen. Auch selbst kann man ohne großen Aufwand Nachhaltigkeit in den Fokus nehmen: einfach nicht jedem modischen Trend im Outdoorausrüstungsbereich hinterherrennen und beispielsweise die Jacke in der Trendfarbe des Vorjahres weitertragen.

MIT KIND UND KEGEL UNTERWEGS

Eine noch ganz andere Dimension bekommt die Frage der Ausrüstung bei Familienwanderungen mit Kindern. Der Rucksackinhalt wird hier verständlicherweise gleich um einige Gegenstände, Lebensmittel und Kleidungsstücke erweitert. Und je nach Altersklasse wird der eigene Rucksack durch die Rückentrage (Kraxe) ersetzt bzw. auf den geländetauglichen Kinderwagen zurückgegriffen, sofern dies die Wegführung zulässt. Beide bieten meist nicht die Packvolumen wie ein Wanderrucksack, weshalb es sich empfiehlt, einem erwachsenen Mitwanderer einen Rucksack mit der Kinderausrüstung aufzusetzen. Die Ausrüstung für die Kinder umfasst, im Vergleich zu der von Erwachsenen, nahezu immer eine größere Auswahl an Wechselkleidung. Man denke, je nach Alter der Kinder, nur mal an die Notwendigkeit von trockenen Kleidern, nach einer ausgiebigen Pause an einem Bach. Auch die Kinder selbst können einen Rucksack tragen. Dabei ist es neben einem guten Sitz unabdingbar, vor allem auf ein geringes Gesamtgewicht zu achten. Dazu das Lieblingskuscheltier, die Entdeckerlupe, ein paar kleine Schachteln für Sammelgegenstände und, und, und. Das alles vom Kind selbst im eigenen Rucksack mitgeführt, steigert die Motivation zum Mitwandern. Bei der Anschaffung einer Kraxe ist es unumgänglich, dass sowohl der künftige Träger als auch der künftige Passagier zugegen sind. Nur so lässt sich das für beide Seiten beste Modell wählen. Darüber hinaus empfiehlt es sich, nicht gleich mit großen Tageswanderungen zu beginnen, sondern sich über kleine Spaziergänge langsam an das Tragen und Getragen werden zu gewöhnen. Das beinhaltet auch das Auf- und Absetzen. Meist fällt dies durch Unterstützung eines weiteren Erwachsenen leichter. Und auch wenn die meisten Kindertragen einen Standbügel zum Abstellen auf dem Boden haben, es gilt immer, die Kraxe zu stützen oder festzuhalten, denn auch der Standbügel bietet keine hundertprozentige Kippsicherheit.

TECHNISCHE AUSRÜSTUNG

Die deutlichste, rasanteste Weiterentwicklung und somit der größte Unterschied zu früher liegt in der Tourenplanung im Vorfeld, sowie der Navigation während einer Wanderung. Hier hat längst die Digitalisierung Einzug gehalten. Begann die Planung früher meist mit dem Studium einschlägiger Literatur, dem Erfahrungsaustausch, dem Berechnen der Tourendaten an Hand einer Wanderkarte, so hat man heute mit ein paar Mausklicks eine vollständig ausgearbeitete Tour samt Eckdaten (Länge, Anspruch, Höhenmeter etc.) vorliegen. Zusätzlich dazu eine ausführliche Beschreibung sowie bunte Bilder aus der Wanderregion der Wahl. Ein hilfreiches Onlinetool in Sachen Tourenplanung, Tourenvorschläge und um sich Wanderungen zur späteren Navigation vorzubereiten, ist der digitale Wanderservice des Schwarzwaldvereins (www.wanderservice-schwarzwald.de). Dazu die passende App auf dem Handy, die Tour heruntergeladen und schon braucht man nur der freundlichen Stimme aus dem Smartphone zu folgen. Wie man es aus dem Auto kennt, bekommt man, wenn gewünscht, angesagt: „An der nächsten Weggabelung links abbiegen!“ Doch Vorsicht, es gibt auch Tücken beim Einsatz dieser modernen Hilfsmittel. Man sollte sich nicht blind oder ausschließlich auf die Technik verlassen. Klar, es ist bequem und einfach. Dennoch, was tun bei leerem Akku, bei gestörtem GPS-Empfang? Wie plant man die gewählte und nun durch Holzarbeiten gesperrte Route um, wenn man sich ohne Internetzugang mitten im Wald befindet, gerade dann, wenn man sich mit Hilfe des Handys durch eine Region navigieren lässt, in der man sich nicht auskennt? Jeder Wanderer sollte deshalb in der Lage sein, auf Bewährtes zurückzugreifen und das auch anwenden zu können. Klassisches Kartenlesen, bei aller Erleichterung durch technische Hilfsmittel, gehört nach wie vor zum Grundhandwerkszeug eines jeden Wanderers. Wie so oft, ist ein gesunder Mittelweg wohl das Beste: die Nutzung und Unterstützung digitaler Hilfsmittel zur Vorbereitung und Navigation, aber auch Karte und Kompass sowie eigene Erfahrung für alle Fälle dabei. Entwicklung und Fortschritt sind letztlich aber gut. Wer möchte unterwegs auf Komfort und Annehmlichkeiten verzichten? Und dies beginnt nun mal mit der eigenen Ausrüstung. Neue Materialien und moderne Technik bieten eine höhere Gewähr für eine sichere Wanderung. Früher wie heute gilt: “Eine gute Ausrüstung ist Gold wert.“ Nichts ist nerviger als eine Wanderung durch unsere Wälder, bei der man trotz teurer Funktionsbekleidung durch einen Regenschauer am Ende klatschnass und frierend am Ziel ankommt. Von daher viel Spaß beim Lesen der Ausrüstungstipps in dieser Ausgabe und vor allem bei der nächsten Wanderung. Immer frei nach dem Motto: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung!“

Torsten Kohl arbeitet als Ranger beim Nationalpark Schwarzwald. Der Wirtschaftsingenieur ist geprüfter Bergwanderführer, Wanderführer des Schwarzwaldvereins, Fachkraft für Natur- und Waldpädagogik und Koordinator der Wanderführerausbildung der Heimat- und Wanderakademie. Der Schwarzwald 2/2021

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